Topoisomerase I und Irinotecan
Topoisomerase I ist ein Enzym (das heißt ein Eiweiß, welches eine bestimmte biochemische Reaktion vermittelt), das für die Entspannung des Erbmaterials (Desoxyribonukleinsäure, DNA) verantwortlich ist. DNA liegt in der Zelle als Doppelstrangstruktur vor und ist im Zellkern viele male gewunden. Dieser Prozess der Windung und Überwindung der DNA nimmt während der Zellteilung stark zu, was innerhalb des DNA-Stranges zu vermehrten Scherkräften führt. Diese Scherkräfte könnten zu unkontrollierten DNA-Strangbrüchen mit ungewollten Veränderungen des Erbgutes führen. Um das zu verhindern, bindet das Enzym Topoisomerase I an doppelsträngige DNA und erzeugt dabei einen Einzelstrangbruch innerhalb der DNA. Dieser Einzelstrangbruch ermöglicht es der DNA, sich zurückzuwinden und von unkontrollierbaren Scherkräften im Sinne von Entspannung befreit zu werden. Nach erfolgter DNA Entspannung repariert Topoisomerase I den DNA-Einzelstrangbruch, so dass am Ende dieses Prozesses wieder intakte Doppelstrang-DNA vorliegt (Abbildung 1).[1]
Gehemmt werden kann das Enzym Topoisomerase durch Irinotecan. Irinotecan selber ist nur eine Vorläufersubstanz, welche erst im Organismus zum eigentlichen Hemmer (Inhibitor) umgewandelt wird. Der Einfachheit halber wird im weiteren aber nur von Irinotecan gesprochen. Wie oben ausgeführt, bindet Topoisomerase I an Doppelstrang-DNA und bewirkt einen Einzelstrangbruch. Erst danach kann Irinotecan an Topoisomerase I binden. Der Inhibitor bewirkt, dass sich Topoisomerase I nicht mehr von der DNA lösen kann und eine Reparatur des Einzelstrangbruches zur Wiederherstellung intakter Doppelstrang-DNA verhindert wird (Abbildung 2, links).[2]
Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesem Vorgang für die Zellen eines Organismus? Es gibt zum einen Zellen, die sich vermehren und damit eine erhöhte Zellteilungsrate aufweisen wie das bei Krebszellen der Fall ist. In derartigen Zellen kann der Komplex aus DNA, Topoisomerase I und Irinotecan mit sogenannten Replikationsgabeln (welche nur bei der Zellteilung vorkommen) kollidieren. Durch die Kollision kommt es zu DNA-Doppelstrangbrüchen und als Konsequenz daraus zur Einleitung des programmierten Zelltodes, auch Apoptose genannt (Abbildung 2, rechts oben).[3], [4] Dieses Szenario erklärt, warum Irinotecan bereits seit vielen Jahren als Chemotherapeutikum für fortgeschrittene Krebserkrankungen eingesetzt wird.[5] Im Gegensatz dazu verfügen Zellen, die sich nicht vermehren, auch nicht über Replikationsgabeln und es kommt nach Gabe von Irinotecan nicht zu unkontrollierten DNA-Doppelstrangbrüchen. Hier bewirkt Irinotecan eine Anhäufung von DNA-Einzelstrangbrüchen, die für die Zelle nicht tödlich sind und lediglich Zellwachstum vermindern (Abbildung 2, Mitte rechts).[6] Lange Zeit dachten wir, dass die Erzeugung von DNA-Einzelstrangbrüchen der Mechanismus ist, durch den Irinotecan den Krankheitsverlauf von SLE positiv beeinflusst. Die Hypothese dabei war, dass sich durch DNA-Einzelstrangbrüche der Zustand der DNA so verändert, dass schlussendlich die Lupus-typischen Auto-Antikörper gegen doppelsträngige DNA nicht mehr binden können.[7] Aufgrund dieser Arbeitshypothese verwendeten wir viel weniger Augenmerk auf einen dritten Effekt des Topoisomerase I Inhibitors Irinotecan, den der Verhinderung von DNA-Entspannung: Ohne Irinotecan bewegt sich das Enzym Topoisomerase I von einem Ort der DNA zum anderen: sie bindet kurz, erzeugt DNA-Entspannung, repariert die DNA wieder und zieht weiter.[8] Wenn Irinotecan dabei ins Spiel kommt, wird die Bindung von DNA und Topoisomerase I stabilisiert, Topoisomerase I kann nicht weiterziehen, und der Prozess der DNA-Entspannung wird unterbrochen (Abbildung 2, rechts unten).[9], [10]
- ↑ Pommier, Y. Topoisomerase I inhibitors: camptothecins and beyond. Nat Rev Cancer 6, 789-802 (2006).
- ↑ Hertzberg, R.P., Caranfa, M.J. & Hecht, S.M. On the mechanism of topoisomerase I inhibition by camptothecin: evidence for binding to an enzyme-DNA complex. Biochemistry 28, 4629-38 (1989).
- ↑ Bjornsti, M.A., Benedetti, P., Viglianti, G.A. & Wang, J.C. Expression of human DNA topoisomerase I in yeast cells lacking yeast DNA topoisomerase I: restoration of sensitivity of the cells to the antitumor drug camptothecin. Cancer Res 49, 6318-23 (1989).
- ↑ Hsiang, Y.H., Lihou, M.G. & Liu, L.F. Arrest of replication forks by drug-stabilized topoisomerase I-DNA cleavable complexes as a mechanism of cell killing by camptothecin. Cancer Res 49, 5077-82 (1989).
- ↑ Rothenberg, M.L. Efficacy and toxicity of irinotecan in patients with colorectal cancer. Semin Oncol 25, 39-46 (1998).
- ↑ Hsiang, Y.H., Hertzberg, R., Hecht, S. & Liu, L.F. Camptothecin induces protein-linked DNA breaks via mammalian DNA topoisomerase I. J Biol Chem 260, 14873-8 (1985).
- ↑ Frese, S. & Diamond, B. Structural modification of DNA-a therapeutic option in SLE? Nat Rev Rheumatol 7, 733-8 (2011).
- ↑ Champoux, J.J. DNA topoisomerases: structure, function, and mechanism. Annu Rev Biochem 70, 369-413 (2001).
- ↑ Stewart, L., Ireton, G.C. & Champoux, J.J. A functional linker in human topoisomerase I is required for maximum sensitivity to camptothecin in a DNA relaxation assay. J Biol Chem 274, 32950-60 (1999).
- ↑ Lisby, M. et al. Residues within the N-terminal domain of human topoisomerase I play a direct role in relaxation. J Biol Chem 276, 20220-7 (2001).